Zwischen zwei Welten
An manchen Tagen fühle ich mich wie Tarzan. Mensch, von Affen aufgezogen, da seine menschlichen Eltern gestorben sind.
Aber warum stelle ich diesen Vergleich an?
Tarzan wusste irgendwann, spätestens, als er Jane kennenlernte, dass er nicht ist wie die Affen, die ihn großzogen.
Und so geht es mir auch manchmal mit dem Sehen und nichtsehen. Ich bin zwar von Geburt an Blind und kenne daher nicht die Welt der Sehenden, aber ich habe jeden Tag den Anspruch an mich selbst, in dieser Welt, die nun mal für Sehende ausgerichtet ist, zu bestehen.
Ich versuche immer, wenn ich mit einer Person spreche, zumindest in die Richtung zu gucken. Da es noch keinen Spiegel mit Künstlicher Intelligenz gibt, der mir sagt, wie ich heute aussehe, muss ich entweder auf ehrliche Sehende Menschen oder auf meine fühlenden Hände vertrauen (und wenn sich meine Haare zerzaust anfühlen, eben noch einmal drüber kämmen) Ich versuche, möglichst normal zu essen und darauf zu achten, dass keine Flecken auf meine Kleidung kommt.
Ich versuche, aus den Kommentaren in Social-Media-Postings schlau zu werden, was das nun wieder für ein Bild sein könnte, denn es wurde leider kein Alternativtext eingefügt.
Bestimmt hat noch nicht mal die Hälfte der Sehenden von diesem coolen Feature gehört, eigenen Text bei Social Media zu den Bildern hinzuzufügen.
Und ein Bild sagt ja wie man weiß mehr als 1000 Worte.
Wenn ich in einen Bus einsteigen möchte, muss ich mir ganz sicher sein, dass es auch der Richtige ist, oder Menschen um mich herum fragen. Auch wenn ich mich mal wieder irgendwo verlaufen habe, wäre es schön, wenn jemand nicht 2da drüben“ oder „in 20 Metern kommt XY“ zu mir sagt. Ich brauche Anweisungen und markante Punkte wie zum Beispiel Zäune etc.
Sehende Menschen können in sog. „Dinner in the dark“ für einige Zeit erleben, wie es ist „blind zu sein“ Ich höre oft, wie ungewohnt das ist und wie schwer man sich tut aber dass die übrigen Sinne mit der Zeit geschärft werden.
ich kann diesen Tausch nicht „ausprobieren“ und werde wahrscheinlich niemals kurzzeitig sehen können. Und das ist okay für mich. Denn ich habe mich daran gewöhnt immer zwischen zwei Welten zu leben.
Ich habe auch viele blinde und sehbehinderte Freunde, die meine Situation kennen, denn auch sie haben sicher schon eine oder mehrere davon erlebt und
und bringen Verständnis dafür auf, wie es mir manchmal geht. Mit ihnen kann ich Dinge besprechen, die ich mit Sehenden nicht diskutieren kann.
Aber ich möchte und muss auch in der Welt der Sehenden bestehen. Die Chance haben, Arbeiten in einem ganz normalen Unternehmen zu können, wo meine Blindheit nur eine ganz geringe bis gar keine Rolle spielt. Und ich möchte weiterhin freiberuflich arbeiten, was meist nur mit Assistenz möglich ist, denn es ist stressfreier und spart Kraft.
Und auch wenn ich zum Beispiel beim Essen beobachtet werde, versuche ich mir immer zu denken: Ich sehe die anderen nicht, also kann es ihnen auch egal sein, wie ich esse. Wahrscheinlich ist es ihnen auch gleichgültig, aber es sind wohl einfach meine Gedanken und mein ständig aufkeimender Perfektionismus.
Ich möchte als junge Frau wahrgenommen werden.
Bei meiner Familie und Freunden ist das bereits normal. Sie vergessen sogar teilweise, dass ich nichts sehe. Das ist oft ganz gut so.
Es gibt so viel positives in meinem Leben, dass diese Dinge, die ich gerade aufgezählt habe, meist überhaupt nicht überwiegen. Ich bin so dankbar, dass ich meinen Weg gehen darf, dass ich so viele wunderbare Menschen in meinem Leben habe. Sie sind Menschen, denen ich vertraue und die ich allesamt aufrichtig liebe. Mit euch gemeinsam ist es gar nicht so schwer, zwischen zwei Welten zu leben.
Schauen wir uns ein Buch an?
An diesem Wochenende durfte mein Neffe bei uns übernachten. Wir spielten in meinem Zimmer mit Kuscheltieren. Irgendwann holte er ein kleines Büchlein, das für mich aussah wie diese Pixibücher, die ich als Kind immer geliebt habe.
Er bat mich, ihm etwas vorzulesen, aber natürlich ging das nicht wegen der Schwarzschrift. Ich erklärte ihm, dass wir ein anderes Buch suchen müssten, eines, das in Blindenschrift bedruckt war, vielleicht ein Braille-Bilderbuch?
Anstatt ein anderes Buch herauszusuchen begann er, mir die Bilder des kleinen Büchleins zu beschreiben. Die Tiere, die zu sehen waren und was sie gerade taten. So hatten wir unsere eigene kleine Geschichte, ohne den Inhalt des Buches zu kennen.
Bilder erschaffen so viel Fantasie.
Informationen zu meinem Jugendbuch “Wozu braucht man Jungs?”
Titel: “Wozu braucht man Jungs?”
Erschienen: August 2019
Verlag: Schwarzbuch Verlag
ISBN:9783946256168
Seitenzahl: 342 Seiten, Taschenbuch
Ausgaben: Taschenbuch
Preis: 14,00 €
Genre: Jugendbuch für Leser ab mindestens 10 Jahren, auch als Schullektüre geeignet
Themen: Freundschaft, erste Liebe, schulische Inklusion
Erhältlich signiert, auch mit individueller Widmung: Direkt bei mir, der Autorin, unter Franziska.sgoff@googlemail.com
Ohne Widmung: Im Schwarzbuchverlag, über den Buchhandel oder bei Amazon
Klappentext:
Sabrina und Mona sind beste Freundinnen. In der kleinen bayerischen Stadt Freising gehen sie zur Schule, die meistens nervt. Sie plagen sich mit der Frage, was sie am besten in der Freizeit machen und natürlich sind da auch noch die Jungs. Brüder, die man nicht versteht und Jungs, die man anhimmelt, dabei noch viel weniger versteht. Als die beiden die blinde Susanne treffen, verändert sich ihr Leben. Sie versuchen die neue Freundin auf ihre Schule zu holen. Die Mädchen glauben an eine inklusive Welt, in der jeder dabei sein darf und erleben dabei häufig die allergrößten Barrieren, nämlich die in den Köpfen der Menschen.
Und bei all dem, fragen sich die Mädchen immer wieder: Wozu braucht man Jungs?
Dieses bezaubernde Jugendbuch ist das Erstlingswerk der blinden Autorin Franziska Sgoff, sie gibt dem Leser dabei Eindrücke in die Welt von blinden Menschen und zaubert ihm immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht. Inklusion ist so einfach, wenn man sich nur ein Herz fasst und auf einander zugeht. Das Besondere an diesem Buch ist, dass auch die Lektorin Daniela Preiß von Geburt an blind ist und die beiden damit sehr genau wissen, worüber sie schreiben.
Kleiner Dino? – Großer Dino?
mein Neffe hat seit einigen Monaten ein Schwesterchen.
Ich darf ihn natürlich nicht mehr „klein“ nennen. Klar, wer jetzt stolzer großer Bruder ist, der ist nicht mehr Winzling der Familie.
Er hat ein neues Hobby für sich entdeckt: Dinosaurier – und hat einen Dino park aufgebaut!
Auch weiß er alles Mögliche über die längst ausgestorbenen Riesen und teilt die Informationen, besser als jedes Lexikon es könnte, mit uns.
Eines Tages wollte ich von ihm erfahren: „Darf deine Schwester auch mit deinen Dinos spielen?“
Ohne zu zögern antwortete er: „Nein!“
Ich überlegte, warum er es nicht zulassen wollte und kam zu dem Schluss, dass er, wie bei anderen Spielsachen auch, die Dinos gerne für sich beansprucht. Als ich mich jedoch genauer nach dem Beweggrund seiner Verneinung erkundigte, meinte er: „Die sind zu gefährlich!“ Mit den Stacheln und der Größe sind sie das für ein Baby tatsächlich.
Mich rührte seine Aussage so sehr, denn er beschützt seine Schwester und liebt sie.
Ich bin mir sicher, dass sie immer auf ihren großen Bruder zählen kann!
Ach so
gestern war ich mal wieder bei meinem kleinen Neffen zu Besuch. Es war sehr schön.
Als er mir wortlos etwas hinhielt, womit er spielen wollte, erklärte ich ihm: „Ich sehe das nicht.“
Seine Antwort hierauf war: „Ach so.“ Mehr nicht. Wir haben ganz normal weitergespielt. Eine solche Reaktion wünsche ich mir von erwachsenen auch. Es einfach hinnehmen, kein Drama daraus machen, klar, Fragen zu meiner Blindheit beantworte ich sehr gerne und offen, aber diese einfache Hinnahme des Teils, der zu mir gehört, aber nicht im Wesentlichen zu dem, was mich als Person ausmacht, hat mir mal wieder gezeigt, dass Kinder die besten Botschafter sind!
Lasst eure Kinder neugierig sein, Dinge akzeptieren, sie auch mal Fragen stellen, die vielleicht sehr persönlich für mich sind. aber ich werde mit Sicherheit normal antworten, ohne mich angegriffen zu fühlen.
Mein Neffe hat mich übrigens gestern auch darauf aufmerksam gemacht, dass ich über sein Spielzeug stolpern könnte. Also habe ich mich hingesetzt und mich zu seinen Spielsachen vorgetastet, denn ich wollte nichts zertreten.
Dieser gegenseitige Respekt ist für ein aufmerksames Miteinander enorm wichtig!
Lasst uns mehr aufeinander zugehen und vor allem aufeinander achten!
Und mehr durch die Augen eines Kindes die Welt wahrnehmen.
Leseprobe “Wozu braucht man Jungs”
Wozu braucht man Jungs?
Franziska Sgoff
Das Glück dieser Erde
4. Mai
Schnell renne ich zum Haus, um Susanne abzuholen. Hinter mir läuft meine beste Freundin Mona, die sich normalerweise nur in der Schule sportlich betätigt. Aber jetzt scheint ihr die Aufregung einen Motor unter die Füße zu schnallen.
Es ist Samstagvormittag, die Sonne strahlt vom blauen Himmel und in meinem Inneren jubelt es so sehr, dass ich zuerst glaube, mir den Laut nur eingebildet zu haben. Doch ich nehme es tatsächlich wahr. Rechts im Garten, durch einen Lattenzaun von uns getrennt, bellt freudig ein Hund. Dann springt er an der Begrenzung hoch. Gerne würde ich dem Labrador über sein weiches Fell streicheln. Doch da geht bereits die Haustür auf und Susanne kommt uns entgegen. Zwei Stufen führen nach unten, die sie so sicher nimmt, wie ich mit Tim das Inline-Skaten üben will. Sie benutzt nicht einmal ihren Stock, um den Boden abzutasten. Locker hält sie ihn in der Hand, während ihre Augen, als könnten sie sehen, zu dem Hund hinübergleiten.
„Rocky! Aus! Das sind nur Freunde!“
Obwohl sie ihn zurechtweist, bemerke ich die Zuneigung in ihrer Stimme. Außerdem fällt mir auf, welche Klamotten sie trägt: eine pinke Outdoor-Weste, dunkle Matschhose und Turnschuhe.
Nach einer kurzen Umarmung hakt sich Susanne bei mir unter, damit ich sie zum Wagen führen kann. Am Steuer des Passats sitzt Petra Steiner, Monas Mutter. Weil sich mein Bruder auf dem Beifahrersitz ausgebreitet hat, schieben wir Mädels uns zu dritt auf die Rückbank.
„Alles angurten“, ermahnt uns Frau Steiner. Und dann drückt sie auch schon aufs Gaspedal.
Mit jedem Kilometer, den wir zurücklegen, steigert sich meine Vorfreude. Aufgeregt plappert Mona neben mir, doch ich höre gar nicht hin, weil meine Gedanken um das Abenteuer kreisen. Wenigstens fällt mir auf, dass Susanne ungewöhnlich still ist. Sie zupft an ihrer Kleidung herum und wirkt ein bisschen blass.
„Alles okay?“
„Ich … habe das noch nie gemacht“, gibt sie zu Bedenken.
„Aber kein Problem!“ Mona wirft beide Hände in die Luft. „Du darfst dich den Tieren bloß nicht von hinten nähern. Ansonsten … Alles easy! Freu dich drauf!“
„Und wenn sie mich nicht mögen? Oder sie haben Angst vor mir“, wendet Susanne ein.
Dasselbe habe ich am Anfang auch befürchtet, doch die Trainer wissen, was sie tun. Und sie werden meine Freundin nicht alleine lassen. So kann ich ihr nur Mut zusprechen.
„Außerdem musst du nicht rauf, wenn es dir unangenehm ist.“
Von vorne lässt Kevin ein Brummen hören, das alles Mögliche bedeuten könnte. Freundschaftlich drücke ich Susannes Hand und irgendwie ringt sie sich zu einem Lächeln durch.
„Da ist das Schild!“, ruft Mona, „nur noch ein paar Meter!“
Nach 20 Minuten Autofahrt rollen wir auf den mit Kies gesäumten Parkplatz. Meine Augen huschen sofort zu einem ausgewachsenen Pferd. Wie gut es mir gefällt mit seiner langen, weißen Mähne und den kräftigen Fesseln! Eine junge Frau, die den Hengst am Halfter führt, nickt uns fröhlich zu.
„Herzlich willkommen auf unserem Hof. Ich bin Clara, eine der Reitlehrerinnen. Und das ist Bingo.“
Sie tätschelt den Hals ihres Gefährten, der daraufhin ein Schnauben von sich gibt. Nacheinander stellen wir uns ebenfalls vor.
„Super“, meint Clara, „dann mach ich euch gleich mit Iris bekannt, die unsere Schule leitet. Muss nur noch kurz Bingo in den Stall bringen. Oder“- sie schaut zu Mona -„magst du mir helfen? Wenn du bereits Reitstunden hattest, kennst du dich ja aus.“
„Gern!“ Mona strahlt. Beinahe wäre sie zu Bingo gehüpft, den sie zuerst an ihrer Hand schnuppern lässt.
Susanne traut sich noch nicht, ein wildfremdes Pferd zu berühren. So schüchtern, wie sie plötzlich wirkt, habe ich sie nie zuvor erlebt. Aber Iris weiß damit umzugehen.
„Wir haben in unserem Reitunterricht Erfahrung mit Behinderten. Rollstuhlfahrer zum Beispiel. Blinde Reitschüler hatten wir bisher noch nicht, aber du kannst uns doch weiterhelfen?“
Iris, die ich auf Mitte 50 schätze, trägt Stiefel in dezentem Gelb. Hose und Jacke sind im selben Farbton gehalten, während braune Locken ihr rundliches Gesicht umrahmen. Mit ihrer Stimme im Alt stellt sie klar: „Beim Reiten kommt es darauf an, das Pferd zu spüren. Und ich glaube, dass du die Körpersprache des Pferdes auch ohne Augenlicht erkennst. Wir probieren es gemeinsam.“
Dafür wählt sie Sternchen aus, eine liebe Schimmelstute. Mir weist sie einen Haflinger zu. Dann schaut sie Kevin an, doch der zuckt nur die Schultern.
„Gucke zu, damit die Mädels nicht runter fallen.“
„Na, dann kann ja nichts schiefgehen!“ Iris bietet ihm noch eine Limonade aus dem Kühlschrank an.
Während er davongeht, um sich das Getränk zu holen, nehme ich Kontakt zu Votan auf. Meine Finger gleiten durch das rötliche, samtweiche Fell, bis er mich anstupst. Eine Einladung, um aufzusteigen?
Wenig später fliegt die Landschaft an mir vorbei und ein freudiges Prickeln breitet sich in meiner Magengegend aus. Ich kann es noch nicht richtig fassen, so wunderbar ist diese grenzenlose Freiheit. Votan bewegt sich in gleichmäßigem Tempo. Seine lange Mähne weht im Wind und nachdem ich meinen Zopf gelöst habe, fliegen mir die Haare wie ein Vorhang ins Gesicht.
Der Geruch nach Frühling und Wald steigt mir in die Nase. Ich will niemals aufhören, diesen Moment für immer festhalten. Die Sonne auf meiner Haut und ich auf diesem wunderschönen, starken Pferd. Hier fühle ich mich so sicher, als gäbe es uns in dieser Kombination schon eine Ewigkeit.
Ich wende den Kopf, um Mona zu sehen, die ausgelassen auf Bingo thront und mir zuwinkt. Von Iris geführt, dreht auch Susanne ein paar Runden über den Platz. Erst vor zwei Wochen habe ich sie kennen gelernt und wie viel inzwischen passiert ist, kann ich kaum glauben. Vor allem hätte ich nie erwartet, mit meinem Bruder auf den Reiterhof zu kommen. Aber Kevin hat sich vor der Reithalle positioniert. Er lehnt am Zaun und scheint wirklich darauf zu achten, dass uns nichts passiert. Als er meinen Blick bemerkt, grinst er mich an. Da lasse ich mit einer Hand die Zügel los, um meinen Daumen hochzurecken. Denn dieses Erlebnis kann uns niemand mehr nehmen.